Samstag, 28. Juli 2007

MEINE ARME MUTTER UND ICH UND EINE BLUTSPUR

Wir beide, wir waren natürlich am meisten miteinander verhakt in der Familie. Dass meine Mutter für mich lebensbehindernd war, davon will ich nicht schweigen. Wer ich für sie eigentlich war, was sie von mir erkannt hat, das weiß ich nicht. "Mein Bestes", wie man so sagt, hat sie sicherlich gewollt, aber so, wie eben sie sich "mein Bestes" vorstellte. Das ist immer so, wenn Eltern zu dieser Aussage ihre Zuflucht nehmen. Was das "Beste" nun aber ist, können sie meistens nicht beschreiben. Eigentlich war es einfach in meinem Fall: Ich wenigstens sollte leben bleiben und das mitten in einem Krieg. Sie wollte nicht nach dem ersten, tot geborenen, noch ein Kind verlieren. "Beschütz mich mal", das war ein Satz von mir, der aus sehr früher Zeit stammen muss, ehe zu vieles Beschützt- und Überbehütetwerden ihn dem Kind in den Mund zurückstopften, so nachdrücklich, dass er auch aus dem Gehirn verschwand, bis er mit dem Schreiben dieser Erinnerungen zurückkehrte. Ich empfand durchaus, dass ich Schutz brauchte, muss das auch gesagt haben, aber bekam zuviel davon.
Ich wurde sehr behütet, aber ich wurde durchaus auch geschlagen, von meiner Mutter mit dem Teppichklopfer oder mit dem Handfeger oder mit einem Kleiderbügel, wenn meine i-Punkte beim Schreibenlernen dem Buchstaben vorausflogen, und das taten sie immer und tun sie heute noch. Wenn die Mutter mit einem dieser Gegenstände ankam, den sie ja erst holen musste, konnte ich ihr eigentlich immer entkommen. Es gab dann eine Jagd um den Wohnzimmertisch. Und nur weil mir ihr Anblick dabei peinlich war und also aus einer Art von Mitleid blieb ich irgendwann stehen und sagte: "Hau doch, wenn du musst." Das Bizarre der Szene hielt sie keineswegs davon ab, dann wirklich zuzuschlagen, auf den Hintern, ich nach ihrem Befehl über eine Stuhllehne gebeugt, mit den Händen mich an zwei Stuhlbeinen festhaltend. An Szenen wie dieser lernte ich früh, dass mit meiner Mutter etwas nicht stimmen konnte. Wie sollte mich jemand behüten, der mich zu anderer Zeit schlug? Lange Zeit hörte ich auf, solchen Widerspruch begreifen zu wollen, isolierte mich in der Familie von der Familie, zog als junge Frau vor ihr weg in eine andere Stadt und sah die Eltern nur noch selten und kurz, pflichtgemäß.
Mein Kinderleben lebte ich so dahin, wie Kinder noch in scheinbar andauernder Gegenwart verharren dürfen. Ich war nicht gezwungen, Lebensentscheidungen zu treffen, vertraute mit Selbstverständlichkeit darauf, dass auch am folgenden Tag jemand für mich da sein würde, die bekannten Frauen der Familie. Das bedeutete: da sein für meine Versorgung mit Nahrung und Kleidung. Für meine seelische 'Versorgung' war niemand da. Familie wurde für mich das, wovor ich mein Inneres schützen musste. Es war nicht selbstverständlich, dass sie alle am Leben geblieben waren, dass unser Eckhaus Kugler/Schönhauser nur Kratzer abbekommen hatte in Form von Artillerieeinschlägen, dass ein Brand des Dachstuhls gelöscht werden konnte. Es war vor allem nicht selbstverständlich, dass der Vater, verwundet zwar, aus dem Krieg zurückkehrte. Eine Rückgratverletzung habe er, hieß es, habe dauernd Schmerzen. Er selbst sprach nicht davon. Immerhin konnte er mit mir lange Spaziergänge machen. Auch meine Mutter hörte irgendwann auf, von ihren häufigen Migränen zu sprechen und von ihrem "Grübeln".
Ich war selten krank: Windpocken, Mumps, im Mai 1945 Masern, bald danach die Ruhr. Die ganze Familie hatte sie, und sie könnte lebensbedrohlich gewesen sein, denn Antibiotika gab es nicht. Blutige Durchfälle machten mir Angst. Blut floss aus mir und konnte über Tage nicht gestoppt werden. Blut aber war doch Leben.
Bis zu dieser Krankheit war es überhaupt nicht schlimm gewesen, mein eigenes Blut zu sehen. Ich kratzte mir beispielsweise am Arm eine Stelle blutig, damit sich da Schorf bildete. Das gefiel mir und war genussvoll. Der Schmerz dann beim Polken, wie wir Kinder sagten, war angenehm, köstlich sogar. Er war milde und war doch deutlich genug wirklich Schmerz, um mich mutig zu finden. Denn das alles hatte ich selbst gemacht. Wenn ich genug hatte, sah ich zu, wie sich das Blut verdickte und gerann, wie eine erste Haut sich bildete. Und auch wenn ich hinfiel und mir ein Knie aufschürfte, dann war das zwar natürlich nicht absichtlich und konnte richtig gemein weh tun, besonders das Abwaschen des Straßendrecks, vielleicht ein paar Stunden noch das Gehen, aber die Borke, die sich da bildete, war zum Polken noch viel schöner, weil sie oft ganz tolle große Flächen bildete. Ohne dass ich das hätte begründen können, war da immer die Sicherheit, dass das Blut anscheinend sich selber daran hinderte, ohne Unterlass aus mir herauszufließen.
Diese Art von Genuss kann nur nach der Kleinkindzeit gewesen sein und vor der Ruhr. Denn eine Weile war mein Selbstvertrauen so am Boden wie ich, als ich einmal als Dreijährige oder Vierjährige gegen eine Ecke einer Kommode gelaufen war. Knapp über der rechten Augenbraue ein Riss in der Haut, der fürchterlich blutete. Das Blut lief mir übers Auge, und vor Schmerz und Schreck wurde ich ohnmächtig. Das war noch in der Zeit, zu der das Bett meiner Mutter Heilkräfte hatte. Sie war mir ja nicht von allem Anfang an unangenehm. Dort lag ich, als ich wieder aufgewacht war, weiß beschützt in weißen Tüchern, bedauert und mit Naschkram verwöhnt. Das ist wohl das Urerlebnis meiner erwachsenen Lieblings-Regression gewesen: Im weißbezogenen Bett liegen, keine Schmerzen haben und wie in Kinderzeiten zu keiner Entscheidung genötigt sein. Aber der Unfall selbst ist mein Urerlebnis davon, dass Blut Leben ist. Also, so schloss ich, musste es lebensbedrohend sein, viel davon in einem Unfall oder in einer Krankheit zu verlieren.

Und wie war das mit Blut, als der Krieg vor unseren Fenstern zu sehen gewesen wäre? Da waren wir im Luftschutzkeller. Aus den ersten Nachkriegstagen aber, ein kleiner sowjetischer Heerwurm war die Schönhauser Allee in Richtung Innenstadt gekrochen und hatte Panjewagen und tote Soldaten und Pferde am Wege zurückgelassen, ist mir ein Andenken an fremdes, gewaltsam vergossenes Blut geblieben. Das war nicht das der Pferde, aus deren Kadavern Frauen Fleischstücke schnitten, um sie zu kochen oder zu braten. In ihrer Nahrungsnot scherten sie sich nicht viel darum, wie lange die Tiere da wohl schon lagen. Es war auch nicht das Blut der Soldaten, sowjetischer und deutscher, die der Tod nicht nach Gegnern sortiert hatte - das sah ich nicht oder nur kurz, weil mich Mutter oder Tante schnellstens zurückzogen ins Haus, als sie selbst es sahen auf den ersten vorsichtigen Wegen zum Wasserholen an einer der öffentlichen Pumpen, wie sie noch heute überall in den älteren Vierteln Berlins stehen. Die Zeit hat trotzdem dafür gereicht, dass das, was ich flüchtig wahrnahm, nicht dem kindlichen Vergessen verfiel.
Und immer werde ich den ersten Toten in Erinnerung behalten, den ich sah, den am Rand der Kuglerstraße, dessen Kopf auf dem Bordstein lag. Eine große Blutlache war neben ihm, und Blut tropfte von da in den Rinnstein. Wieder waren wir zum Wasserholen unterwegs, ich mit einem kleinen Eimerchen. Gegen das Verbot war ich wohl vorausgelaufen. Ich weiß noch, dass ich diesen Toten, den ich aus der Nähe sah, zunächst ganz konzentriert und kühl betrachtete, dann aber entsetzt zu den Frauen lief und schrie, da liege ein Toter. Das muss zu der Zeit gewesen sein, wo eigentlich die toten Menschen und die Pferdekadaver, der Seuchengefahr wegen, schon weggeräumt waren. Aber immer noch konnte es geschehen, dass einen Sieger, meist war er ein sehr betrunkener Sieger, ein Schuss auf einen Feind freute, und diesen Mann in Zivil, den hatte es eben erwischt. Jedenfalls denke ich heute, dass es so gewesen sein müsste. Mutter und Tante aber leugneten, dass der Mann tot sei, und behaupteten, er sei betrunken und müsse deshalb gestürzt sein. Meine Bitte, dann möge er doch eine Decke kriegen und das Blut ihm abgewischt werden, dann möge er doch anderswohin gebracht werden, schoben sie beiseite. Das ginge uns nichts an. Seitdem wusste ich mit Sicherheit, dass Erwachsene nicht immer die Wahrheit sagen, wie sie das doch von Kindern verlangen. Und ich erinnerte mich an meinen Unfall mit der Kommode und sah mich bestätigt in meinem Empfinden von damals, dass Blut etwas mit Leben und Tod zu tun hatte.
Und Fleisch? Meine Mutter säbelte kein Fleisch aus Pferdekadavern. Auch anderes Fleisch kannte ich lange nicht, denn vor dem Krieg wie nachher gab es das, wie fast alles, in winzigen Mengen nur auf Bezugsmarken, und selbst dann oft nicht. So brauchte ich mir keine Gedanken zu machen über Kühe, die behäbig über die Weide schritten und Gras rupften, und die Teile, in die sie zerlegt wurden, wenn die Menschen sie essen wollten. Gesehen haben werde ich solche Tiere, also Kühe und auch Kälbchen, doch wenigstens in den Monaten der Evakuierung aus dem bombenbelegten Berlin. Jedenfalls kannte ich sie aus Bilderbüchern. Aber bei Kühen war das einfach, dem Kind eine Weile etwas vorzumachen darüber, wozu sie bestimmt waren, und bei Hühnern war es auch einfach: Die Erwachsenen erzählten einfach, sie gäben die Milch oder die Eier. Aber die alte Frau Wilke in ihrem Schrebergarten in Heinersdorf habe mehrfach vor meinen Augen einem Huhn den Hals umgedreht, erzählte meine Großmutter mir später, und sie selbst habe das Huhn dann in ihrer Küche gerupft und ausgenommen, und ich hätte dabei gestanden und nur dann geschrieen, wenn sie mich mit einer Hühnerkralle gekitzelt habe. Die kam dann mit den Innereien und dem Hals und den Flügeln als 'Hühnerklein' in einen großen Topf und ergab eine köstliche Brühe. Aufs Kochen und Braten und Backen verstand sich meine Großmutter, wenn's denn was zu kochen gab oder zu braten oder zu backen. Geradezu gehungert, wirklich gehungert, haben wir nicht oder höchstens tageweise. Ich habe jedenfalls keine Erinnerung daran.
Eine Zeit lang nach der Kapitulation funktionierte das alte politische System nicht mehr und das neue, das der bolschewistischen Befreier, funktionierte noch nicht. Oder an einem Tag waren die ersten Russen da, aber ein paar Stunden später noch mal deutsche Soldaten. Ausgebrannte Straßenbahnen standen in der Schönhauser, und die Hochbahn war schon lange eingebrochen, gleich hinter dem Bahnhof in Richtung Pankow. Vor den "Russkis" hatten alle die Angst, die die Propaganda der angeblich zur Weltherrschaft berufenen Nazis den Deutschen eingebläut hatte. Noch bis fast zuletzt glaubten ja viele an die so genannte Wunderwaffe, die das Kriegs'glück' wenden würde. Und hatten vergessen, dass die Mehrheit von ihnen den einmal gewählt hatte, der dann ihre Städte in bizarre Trümmerlandschaften verwandelte. Ungläubigkeit angesichts der Wirklichkeit steckte in diesen Wörtern "Russki" oder auch "Iwan", Verachtung für die, die ihrerseits staunend sagten: "Wasser aus Wand, Licht aus Decke". Es waren ja Sieger, die den Luxus nicht fassen konnten, in dem die Besiegten in ihren Trümmern noch immer lebten. Die aber hatten natürlich auch Angst vor denselben Soldaten, die nicht nur "Uri, Uri" forderten, sondern auch: "Frau, komm". Habe ich was davon mitgekriegt? Wieder kann ich mich nicht erinnern.
Aber in meinem Kinderkopf befanden sich noch lange Wörter, die unpassend geworden waren: "Heilitler", "Pflichtmädchen", "Engelland", "Talerkrieg" und das sonderbare "Dolchpapa", aber auch "RadioLondon" und "Ka−pi−tu−la−tion", und ich begriff nicht, warum es Wörter gab, die nicht mehr gelten sollten. Bald waren sie untermischt mit Wörtern, die unbedingt galten, wie "Stalin", "Ami", "Westen", "Zone", "Trümmerfrau" und "Trümmerblume". Schnell hieß es nicht mehr "Hitlerjugend", sondern "Junge Pioniere", statt eines Hakenkreuzes gab es Hammer und Sichel auf roten Fahnen, und im Zeichen von Hammer und Sichel gab es bald Schulspeisung, die uns Stalin spendete und die ich aus einem Wehrmachtshenkelmann meines Vaters löffelte, während eine Kuh in einem Hinterhof ein paar Straßen weiter Milch spendete, wenn man einen Bezugschein dafür hatte, in meinem Fall ein Kind war; ein Viertelliter täglich war es oder sollte es sein. Die Kuh im Hinterhof war nicht Stalins Verdienst, vielmehr hatte sie erstaunlicherweise den Durchzug seiner siegreichen Armee überlebt. Vielleicht war im Hof eine Gulaschkanone stationiert gewesen, der die Kuh zupass kam. Solcherart Kühe zu halten, war in manchen Kleinbürgergegenden Berlins normal gewesen. Noch in den 80er Jahren konnte man in einigen Hauseingängen verblichene Inschriften lesen, die darauf hinwiesen.
Mit immer zu wenig Milch, mit Frostbeulen mindestens in den harten Wintern 1945/46 und den beiden folgenden und den aufgekratzten Stellen an Knien und Armen wuchs ich auf. Manchmal musste ich Blut lassen durch Stich in eine Fingerkuppe, damit mein Gesundheitsstatus festgestellt werden konnte - beständig leicht unterernährt. Lebertran musste ich schlucken, gnadenlos, aber bei meiner Kinderärztin durfte ich auf dem Wohnzimmertisch unter der Höhensonne liegen, zusammen mit Bruni, dem Kind ihrer Sprechstundenhilfe, Untermieterin und Hausangestellten. Dies andere Kind, Brunhild Asmus mit vollständigem Namen, durfte dabei sein Höschen anbehalten, ich nicht. Warum verlangte meine Mutter das, die doch von der Region, die das Höschen bedeckte, immer nur als von "da unten" sprach, die sonst verlangte, dass ich beim Sitzen die Knie zusammen kniff, das gehöre sich so, und auf die Frage 'warum' keine Antwort wusste und mich "vorlaut" nannte. Der Bruni neben mir war es egal, ob ich unten ohne da lag oder mit. Mütter spannen eben manchmal, fand sie, meine hier, ihre bei anderen Sachen.

Als ich zwei Jahre alt war, fielen schon die ersten Bomben auf Berlin, noch nicht sehr häufig, aber die Zeit der Alarme und der gestörten Nächte hatte begonnen. Und die Alarme nahmen zu. Als Dreijährige hatte ich ein Köfferchen oder Rucksäckchen, in dem vermutlich mein Teddy war und etwas zu trinken und ein paar Kekse. Und wenn es nachts Alarm gab, wenn ich geweckt worden war und schlaftrunken im Treppenhaus stand, während meine Mutter die Wohnung abschloss und Decken und alles sonst Nötige trug, dann, das weiß ich noch genau, haben die Mitbewohner, die von oben kamen, mich bedauert, das kleine Wesen, das mit musste in den Luftschutzkeller. Natürlich hatten sie Recht mit ihrem Bedauern. Mein Kinderhirn aber verarbeitete die Situation anders: Endlich einmal wurde ich behandelt wie die Erwachsenen, und es gab eine Situation, über die meine allmächtig scheinende Mutter keine Gewalt hatte. Das gehört zu meinen frühesten Erinnerungen.
Elf Monate von dieser Bombenzeit verbrachte die Mutter mit mir außerhalb von Berlin, 1943 drei oder vier Sommermonate in Glindow an der Havel, 1944 acht Monate in Belgard in Hinterpommern bei einem der Brüder meiner Großmutter, Ernst Krüger, dem Frisör. Arrangiert hatte beides sie, die Großmutter. Warum meine Mutter schon im August mit mir nach Berlin zurückkehrte, weiß ich nicht. "Heimweh", wie es die Tante an die Hausbesitzerin schrieb, kommt mir als Begründung nicht recht glaubwürdig vor. Eher hatte es Streit gegeben. An Flucht und Vertreibung aus dem Osten hat man im späten Sommer 1944 noch nicht geglaubt. Die Mutter setzte sich und mich wieder den Bomben auf die Hauptstadt aus, die inzwischen auch tags fielen. Dass unser Haus, unsere ganze Gegend weitgehend verschont bleiben würde, davon konnte sie ja nicht ausgehen. Ich weiß also nicht, warum sie zurückkam, und ich habe vergessen, meine alte Tante Hilde zu fragen. Sie hat aber erzählt, dass eine Zeit lang meine Mutter mit mir bei Alarmen statt in den Keller des Hauses in den Bunker am Humboldthain ging, eine halbe Stunde zu Fuß, ich mit einer kleinen Laterne. Vielleicht war das nach der ersten Rückkehr. Ich kann mir diesen Weg heute nur als einen in großer Angst vorstellen. Dagegen hat das kleine Licht wohl nicht geholfen.
Hin und wieder kam mein Vater auf Urlaub, manchmal 14 Tage, einmal sogar nach Belgard. Manchmal kam er unangekündigt,. manchmal kam er nicht, obwohl angekündigt. Für mich war er erst ein "fremder Onkel" und später, als der gezogene Soldat sogar noch Leutnant geworden war, der "Dolchpapa". Er überlebte, das sagte ich schon, überlebte auch einen Volltreffer, den sein Schiff im Kieler Hafen erhalten hatte, ein Minensuchboot, dessen Name mir wieder eingefallen ist, gut nordisch Sleipnir. Mein Vater war an Deck gewesen, das war sein Glück im Unglück, trieb wieder an die Wasseroberfläche, der Nichtschwimmer, und fand etwas, an das er sich anklammern konnte, und wurde gefunden. Er war zuerst Besatzungssoldat in der Bretagne gewesen, stationiert im Hafen von Lorient, ein Schreibstubenhengst, der bei den Bauern Kartoffeln kaufte (kaufte, nicht requirierte?). Das war wohl nicht das schlechteste Kommando, was er erwischen konnte. Vermutlich verdankte er es seinen Französisch-Kenntnissen aus der abgebrochenen Real-Gymnasiumszeit. Irgendwann war er in Reval (Tallinn, Estland), auch in Riga. Sonst weiß ich nichts, denn den Briefwechsel mit Frau, Mutter und Schwester hat er vernichtet oder vernichten lassen, und seine Briefe an die von Jaminets sind in Schlesien zurückgeblieben, oder Frau von Jaminet hat sie dort verbrannt. Er habe nie auf einen Menschen schießen müssen, war seine Antwort, als ich ihn einmal, ziemlich früh, nach 'seinem' Krieg fragte. Nicht sein Verdienst natürlich, aber so sei es gewesen. Das hieß auch: Weiter will ich nicht gefragt werden. Das Übliche. Es erlebt und überlebt zu haben, war genug. Darüber zu sprechen, wäre zuviel gewesen. Das braucht 50 Jahre und den Wunsch, die eigenen Erinnerungen als Teil der allgemeinen weiterzugeben. Den Wunsch hatte er nicht und die Zeit auch nicht.
Zuletzt war der Leutnant Zinke in Schleswig-Holstein, vielleicht im Stab der kurzlebigen Regierung Dönitz. Jedenfalls wurde er von Engländern gefangen genommen und entkam ihnen von Flensburg nach Rendsburg, hat er gesagt. Dort fand er Arbeit in einem Schiffsausrüstungsbetrieb. Das bleibt erstaunlich, denn Schleswig-Holstein war voller Flüchtlinge. Wie lange meine Eltern nichts voneinander gewusst haben - ich weiß auch das nicht, weiß nicht, wie solches Warten gewesen ist, weiß nicht, wie es war, in zerstörten Städten zu leben, weiß nicht, wie viele Menschen sich eingestanden, dass das, was sie nun erlebten, Folge eigener Verführbarkeit und Wahl-Entscheidungen war, nur 12 Jahre zuvor. Zeit wird unterschiedlich erlebt, abhängig von vielem, sicher von Krieg oder Frieden. (Das Wunder der Wiedervereinigung des als Kriegsfolge erst amputierten und dann zu zweien gemachten deutschen Staates ist nun schon mehr als eben dieselbe Zeit her - und war es nicht wie gestern, als die ersten Trabis über die, "meine", Bornholmer Brücke fuhren?) Ich habe viel darüber gelesen, und doch ist Atmosphäre nicht erfassbar. Aber mit aller Vergangenheit ist das so.
Meine Eltern haben sich erstmals nach dem Krieg wiedergesehen im Herbst 1946 in der Heimat meiner Mutter. Das habe ich schon erwähnt. Dazu brauchte mein Vater nur innerhalb der britischen Zone zu reisen, beschwerlich genug auch das, meine Mutter aber musste aus dem russischen Sektor Berlins in die russische Zone gelangen und die so genannte Grüne Grenze im Harz bei Walkenried überschreiten. Soweit ich mich erinnere, waren es Diakonissen, die das organisierten, mit einer Übernachtung auf dem Fußboden irgendwo, auf und unter Tischen, auf zusammen gerückten Stühlen, was ich abenteuerlich und hinreißend aufregend fand. An einen Mann erinnere ich mich, der hatte eine Puppennase. Meine Mutter bestritt das ebenso, wie sie den Tod des Mannes im Rinnstein bestritten hatte. Die Grenzüberschreitung, das weiß ich heute, war lebensgefährlich. Lebensgefahr aber geht man nur ein um eines Wertes willen ein, der sie rechtfertigt, denke ich. Warum also nahm meine Mutter mich bei dieser lebensgefährlichen Grenzüberschreitung mit? Dass einfach nur mein Vater mich wiedersehen wollte, wie Fiddy gemeint hat, das denke ich nicht. Ich kann nicht glauben, dass ein Vater um dieses Wunsches willen allein sein Kind in Todesgefahr bringt. Es muss mehr gewesen sein, was zu diesem Treffen führte. Vielleicht so: Meine Eltern könnten überlegt haben, ob sie künftig im Rheinland leben wollten oder in Rendsburg oder noch anderswo, als Flüchtlinge dann also, aber so, dass ihr Kind bei ihnen war. Oder aber, und auch dafür musste ich mitgenommen werden bei dem illegalen Grenzübertritt, ob sie sich trennen wollten, meine Mutter dann mit mir in ihrer Heimat leben würde. Vielleicht spielte dabei eine Rolle die junge Frau in Rendsburg, deren Gouachen die Initialen W.L. trugen und von denen zwei später in unserer Wohnung hingen, Wilma Lembcke. Ich weiß nicht, ob mein Vater mit ihr eine Liebesbeziehung hatte, aber es könnte durchaus so gewesen sein. Nach Berlin erhielt er, obwohl daher stammend, zunächst noch keinen Zuzug, erst 1948. Der russische Sektor war natürlich nicht attraktiv, aber die Schönhauser Allee und die Kuglerstraße waren eben dahin geraten, also die gemeinsame Wohnung, also das, was meine Mutter im Leben erworben hatte und behalten wollte, auch um den Preis der allzu großen Nähe zur Schwiegermutter. Freilich war die Wohnung nun ohne das Herrenzimmer, weil in einem Zimmer ja die Untermieter wohnten. Und mein Vater? Sollte er sich nach damals sechs Jahren Abwesenheit auf eine unabsehbare Zeit erneut von Mutter und Schwester trennen? Ich glaube, dass er das nicht wollte. Solche elementaren Fragen müssen in Tönisheide bei Velbert im Bergischen Land besprochen, durchstritten, entschieden worden sein, mit welchen Gewichtungen und Wünschen und Argumenten auch immer. Es blieb beim Alten, wohl schon Schlechten: Mein Vater würde dann, wenn es erlaubt wäre, nach Berlin zurückkehren, und ich meine: seiner Mutter und seiner Schwester wegen.
Wir, meine Mutter und ich, machten also den Weg über die Grenze zurück, auf Gedeih und Verderb. Berlin hatte sich wohl für sie als der einzige Ort dargestellt, ihren Mann künftig wiederzusehen, vielleicht auch: ihn zu behalten. Was werden würde, politisch und privat, war 1946 nicht abzusehen. Auch der Grenzübergang zurück verlief ohne Zwischenfall. Zwei Jahre später kam mein Vater in den russischen Sektor Berlins zu Frau und Kind und zu Mutter und Schwester und Schreibtisch, fand aber Arbeit in Westberlin, in einer kleinen Diamantwerkzeugfabrik genau an der Grenze in der Harzer Straße. Etwas über zehn Jahre war er damals verheiratet, davon hatte er nur zweieinhalb mit der Frau zusammengelebt, von der er mir, als ich erwachsen war, sagen würde, was ich schon einmal zitiert habe: "Wenn ich nicht wüsste, dass sie daran kaputt ginge, ich würde sie noch heute verlassen."

Nein, meine Kriegs- und Nachkriegskindheit erscheint mir im Rückblick nicht glücklich, Augenblicke ausgenommen. Glück habe ich bewusst nie anders als in Stunden erlebt, längstens in Tagen, einige Male in Wochen, als Erwachsene und wenn ich verliebt war. Aber wie auch sonst? Mehr an Glück zu verlangen, das ist vielleicht schon frevelhaft. Glück als Dauerzustand gibt es nicht außer manchmal als Kostbarkeit bei alten Ehepaaren, die die Zeiten ihres Gärens und des Kinderaufziehens bestanden haben und am Ende ihres Lebens besser wissen, was Glück sein kann.
Glücklich kann eine Kriegs- und Nachkriegssituation als ganze wohl nicht sein. Lange war da bei mir die Angst, wir könnten ausgebombt werden, noch länger die tägliche Not, wie wir uns wohl am Leben erhielten. Andere Erwachsene als die, zu denen ich gehörte, haben Inseln von Glück für das Kind oder die Kinder schaffen können. Das habe ich jedenfalls gelesen. Meine Familie konnte es nicht. Und wenn es manchmal, punktuell, das doch gab, Glück, dann hatte es sich irgendwie ergeben. In der zweiten Evakuierungszeit zum Beispiel, in der wir, die Mutter und ich, von Belgard aus ein paar Tage in Kolberg an der Ostsee verbringen konnten. Wenn da am jeweils nächsten Tag mein 'Kinderwasser' noch da war, dies badewannengroße und badewannenwarme Wasserloch, das die Ostsee mit ihrem bisschen Flut immer wieder zuverlässig auffüllte und das meins war, dann war das Glück. Aber das war abseits des Krieges. Oder wenn ich als vielleicht Zweijährige im Garten der Frau Hühner-Wilke in einem Wald von Margeriten mich fast verstecken konnte und das durfte, dann war auch das Glück. Aber das war, bevor der Krieg uns erreicht hatte. Oder wenn die Großmutter mich auf ihren Schoß nahm, mir zärtlich in die Haare pustete und mir dann ein oder zwei Eigelb mit Zucker aufschlug. Aber auch in der Vorfreude auf meinen Vater, der wiederkommen würde, lag Glück. Nicht alle Väter kamen ja wieder aus dem Krieg.

Die Distanz zu meiner Mutter wurde schon während meiner Kindheit immer größer. Mit zehn hatte mich die Einsicht vom eigenen sterben müssen überfallen, jäh und mit großer Angst. Ich, ich würde sterben müssen, nicht anders als die Mücke, die ich an der Wand tot klatschte. Aber zu meiner Mutter von meiner Angst zu sprechen, das habe ich mich schon mit zehn nicht mehr getraut. Gefragt habe ich sie damals, unter großer Überwindung, ob ich denn wohl in den Himmel käme, dereinst, irgendwann, als alte Frau, die zu werden ich mir natürlich überhaupt nicht vorstellen konnte. Da hatte sie leicht 'ja' sagen. Die wirkliche Frage und die Angst dahinter erkannte sie nicht. Das alles war in den großen Ferien, in schönen, warmen Sommertagen. Ich blieb im Bett, in meinem, im Wohnzimmer. Ich weigerte mich inzwischen, wie bisher noch bei Krankheiten, im weißen Bett meiner Mutter zu liegen. Es hätte mich übermäßig behütet. Es roch nach ihr, und ich ertrug diesen Geruch nicht mehr. Im Elternschlafzimmer fühlte ich mich auch weggesperrt, und ich wollte demonstrativ leiden, meine Depression herzeigen und die stumme Anklage erheben, dass es Trost durch ein Gespräch nicht gab. Die Mutter brachte mir Bonbons. Daran erinnere ich mich noch heute: an dieses elementare Verlassensein in der Todesangst. Das war der innere Bruch mit ihr. Ich kann ihn also sogar datieren, Sommerferien 1950. Vermutlich verbot dann mein Vater mir, weiterhin im Bett zu liegen. Vielleicht ging er mit mir spazieren, um mich abzulenken.
Meine Mutter kaufte mir weiterhin Bonbons, mein Vater brachte mir einen großen bunten Ball aus Westberlin mit, einen von denen, die so toll aussahen, wenn sie neu waren, die so hoch sprangen, wenn man sie auf die Erde knallte. Bald aber platzte die Farbe ab, bekam die Ballonhülle die ersten Risse, wurde schlaffer und schlaffer, bis man sie nur noch wegwerfen konnte. Eine Enttäuschung ähnlich der, die man bei Kastanien erlebte, die so glatt und rein aus ihrer Hülle hervorgingen und in der Hand einen Anblick von Vollkommenheit boten, aber nach wenigen Tagen schrumpelten und unansehnlich wurden. Das kannte ich schon, beides.
Mit dem Ball ging ich trotzdem auf die Straße, wie ich sollte. Matt ließ ich ihn aufprallen und hochspringen, spielte 'Kante', d. h warf ihn gegen halbrunde Zierbalken im Verputz der Häuser so etwa in Augenhöhe. Je nach dem, wo er auftraf, kam er in hohem Bogen zurück oder kullerte lax zur Erde. Renate Reiter kam dazu, die seit kurzem in meiner Klasse war. Sie hatte mich wohl aus einem Erkerfenster ihrer Wohnung im Haus gegenüber gesehen und auch meine Antriebslosigkeit, mein müdes Gehen. Sie fragte. Ich erzählte. "Komm mit zu meiner Mutter", sagte sie, "die wird dir helfen."
Wie denn das? Meine eigene Mutter war hilflos, und diese fremde sollte mir beistehen können? Aber manches an Renate Reiter war anders als bei den anderen Kindern in der Straße. Zum Beispiel war sie katholisch wie Hilde Heidbrink und kam einmal an einem Aschermittwoch verspätet in die Schule und mit einem Aschenkreuz auf der Stirn, das sie geduldig erklärte. Sie war die Zweitälteste von sieben Kindern, hatte einen älteren Bruder und dann noch fünf kleinere Geschwister, das jüngste ein Baby. "Wir sind Zigeuner", sagte sie, "so sagt ihr ja. Unter Hitler waren die Eltern mit uns beiden Ältesten noch in Rumänien. Da hat man uns einigermaßen in Ruhe gelassen, in Siebenbürgen, halb Politik, halb Zufall. Aber dann wollten sie nach Deutschland, und es gelang auch, und hier haben sie die Kleinen gekriegt, jedes Jahr eins. Wir lieben große Familien. Und die Kinder sorgen für die Eltern, wenn sie alt sind."
Das alles verstand ich nicht, nicht als das Einzelkind, das ich war, nicht als das deutsche Kind, das noch nie von Rumänien gehört hatte. Zwar wusste ich inzwischen, dass "Heilitler" eigentlich "Heil Hitler" geheißen hatte und früher ein Gruß gewesen war für einen, der sich den "Führer" genannt hatte und alles bestimmen wollte, nun aber nicht mehr, nun bestimmten "die Russkis". Er hatte den Krieg angefangen, unter dessen Folgen wir alle noch litten. Aber Genaueres erfuhr ich nicht nur von meinem Vater nicht. Erst hieß es: "Dafür bist du noch zu klein." und bald danach: "Ach, Kind, das ist doch alles schon so lange her."
Renate führte mich in das Wohnzimmer, wo ihre Mutter auf einem Kissen auf der Erde saß und das Baby stillte. Das hatte ich noch nie gesehen, und es war mir peinlich. Aber Renate sagte einfach: "Mutter, das ist Ursa aus meiner Klasse. Es geht ihr schlecht, aber du kannst ihr sicher helfen." Frau Reiter reichte mir die Hand, scheuchte die Kleinen heraus, schloss ihre Bluse, Renate holte noch zwei solcher bunt geblümter Sitzkissen, und wir Kinder setzten uns auch. Ich erzählte.
Da legte Frau Reiter das Kind in seine Wiege, nahm meine beiden Hände und sagte mit dunkler, liebevoller Stimme: "Wir alle müssen sterben, das weißt du nun, Ursa. Es ist der Preis des Lebens. Auch dieser Säugling hier, unsere kleine Maria, wird sterben. Sie wird noch viele Jahre unwissend darüber sein, wie du es gewesen bist. Wenn man aber vom eigenen Tod weiß und ihn als Teil seines Lebens ansieht, so muss er keine Angst machen, besonders nicht, wenn man nicht allein ist dann. Ich werde nicht allein sein, die Familie wird bei mir sein. Sieh zu, dass du eine eigene Familie bekommst. Sie schenkt dir Geborgenheit. Aber lass mich sehen: deine Handlinien. Die Lebenslinien sind sehr lang, sehr glatt. Du wirst alt werden und wenig krank sein. Das zu wissen, kann dir auch jetzt helfen. Du hast für diesmal lange genug gelitten. Du darfst nun deine neue Erkenntnis erst einmal beiseite zu legen und dich wieder am Leben erfreuen. Es stimmt schon, du hörst langsam auf, ein Kind zu sein. Aber du gewinnst Freiheit, über dich selbst zu bestimmen, und du wirst Dinge kennen lernen und dich an ihnen freuen, die du jetzt noch nicht kennst, vor allem die Liebe." Sie sah wieder in meine Hände und sagte dann: "Wenn du einen Mann wählst, bring vorher in Erfahrung, ob ihr genug Gemeinsamkeiten habt. Mir scheint, deine Eltern haben sie nicht. Nimm niemanden, von dem du nur so irgendwie meinst, der sei einer für dich. Das geht nie gut. Denk' daran, wenn du verliebt bist, und noch mehr, wenn du's nicht bist. Warte auch lange genug, ehe du dich bindest." Längst liefen mir die Tränen herab, erlösende Tränen, Tränen der Dankbarkeit. Das gab es also doch auf der Welt, dass mich jemand verstand. Ich fand es nicht peinlich-katholisch, dass Frau Reiter das Kreuzeszeichen über mir schlug. "Du kannst wiederkommen, wenn du möchtest. Meistens ist hier viel Trubel. Dann sage ich dir schon: 'Warte ein bisschen' oder 'Komm lieber ein anderes Mal.' " Und sie küsste mich auf die Stirn. Renate brachte mich zur Tür, nahm mich dort in den Arm. Den Ball wollte ich vergessen nach der Art derer, die nichts für geschenkt annehmen können, aber sie warf ihn mir aus dem Fenster nach.
Einfach über die Straße von einer der mit so verschiedenartigem Leben erfüllten Wohnungen in die andere gehen, das konnte ich nicht. Ich ging zuvor langsam einmal ums Karree. Das wurde künftig immer öfter mein Denkweg. Meiner Mutter sagte ich nichts von Frau Reiter, die ich nun kannte. Auf die Frage, wo ich gewesen sei, gab ich nur zur Antwort: "Mit dem Ball die Straße rauf und runter." Und wie es mir gehe: "Besser." "Siehst du, frische Luft tut gut." - Die Melancholie war tatsächlich fort, und sie blieb fort. Bald begann die Schule wieder.

Und dann, ein Jahr später, das andere, das nicht hervorgekratzte Blut, das ähnlich wie das bei der Ruhr "da unten" und von selbst erschien und das die Kindheit beendete. Das ahnte ich, ehe ich es wusste. Nach dem seelischen das körperliche Ereignis, das mich durchschüttelte. Früh, ich weiß, ich war erst elfeinhalb. Man musste noch nicht damit gerechnet, mich auf nichts vorbereitet haben. 'Man', also meine Mutter. Die Urfreundin Hilde gab es als meine Freundin nicht mehr, die mir wahrscheinlich etwas hätte sagen können, aber ich weiß nicht, ob sie's gewagt hätte. Renate Reiter gab es noch, und ich ging manchmal zu ihr und ihrer Mutter, lernte sogar das Baby wickeln und anziehen. Sie trauten mir das zu, vertrauten das Kind mir an. Auch ausfahren durfte ich es, sogar allein, wenn Renate für die anderen kleinen Geschwister gebraucht wurde. Das Spiel mit leblosen Puppen fand ich seitdem noch viel blöder als immer schon. Aber von der Blutung redeten wir nicht, bevor sie aus mir herausbrach, vermutlich weil Mutter und Tochter Reiter, die sicher Bescheid wusste, das für keine große Sache hielten und einfach nicht daran dachten, dass für mich unter verklemmten Erwachsenen verlorenes Kind sich da ein neues Tabu-Problem auftun würde.
Eines Tages also, es war schon Herbst, und von Tag zu Tag drohten die langen braunen gerippten, gestopften, zu kurzen Strümpfe an ihren Strumpfbändern, saß ich auf den Klo, nur so, nur zum Pinkeln und las dabei, weil ich eigentlich immer las. Die Unterhose, damals 'Schlüpfer' genannt, mit ihrem ewig ausgeleierten Gummi hing vor mir. Als ich schon aufgehört hatte zu pinkeln, tropfte noch immer etwas in die Kloschale, auch in kleinen Klümpchen. Ungläubig und ahnungslos sah ich es an, dies aus mir tropfende Blut und das in der Kloschale, denn das war es, Blut. Und die Unterhose war auch blut-rot. Ich war krank. Ich verblutete. Ich musste sterben. Da waren sie wieder, mein Kriegsende-Eindruck vom verbluteten oder verblutenden Mann im Rinnstein, der rote Blutschleier vor dem Auge der Dreijährigen, ehe es schwarz um sie wurde, der blutige Durchfall, die unvermeidbare Gewissheit des Sterbens. Ich versuchte mich daran zu klammern, was Frau Reiter von langen Lebenslinien in meinen Händen gesagt hatte, und starrte auf meine Hand und in meine Unterhose.
Aber in der blutigen Situation auf dem Klo brauchte ich ganz handfeste Hilfe. Ich konnte da ja weder sitzen bleiben, noch konnte ich aufstehen. Also rief ich nach der Mutter, so widerwillig wie ein Jahr zuvor, als ich meine Angst vor dem Sterben in die Frage nach dem Himmel für mich gekleidet hatte. Sie war bestimmt ebenso erschrocken wie ich. Zog mir die Hose aus und legte sie in kaltes Wasser ins Handwaschbecken, zog mir auch das Kleid aus, das schon durchgeblutet war, brachte die Schüssel von der Schüssel/Krug-Garnitur, die wir noch lange im Schlafzimmer stehen hatten, gefüllt wohl nur mit lauwarmem Wasser, und einen Waschlappen, damit ich mich "unten" waschen sollte. Das war bisher nicht vorgekommen; es war immer durch das Bad am Sonnabend unauffällig und unausgesprochen miterledigt worden, für das in langsam besser werdenden Zeiten der Badeofen im Badezimmer geheizt wurde. Zuvor hatte das Sonnabend-Bad in der Zinkwanne in der Küche stattgefunden, die mit heißem Wasser vom Küchenofen befüllt wurde. In ihr hatte ich noch im Sommer des Jahres warme Tage auf dem Balkon zugebracht, ehe ich eingeladen worden war zu den Brauns nach Kladow zum schönsten Kindersommer, den ich erlebt habe. In der Zinkwanne wurden mir die Haare gewaschen, da wurde ich mit dem Waschlappen abgeseift. Auch "unten"? Auch unter den Achselhöhlen? In Wasser für mich allein? Ich weiß es nicht. In der Badewanne badete jedenfalls stets mein Vater vor mir, natürlich nicht etwa mit mir, und die dann im Wasser schwimmenden Seifenflocken fand ich eklig. Deshalb stand ich nur in der Wanne und überwand mich, die peinlichen Stellen mit einem zuvor nass gemachten Waschlappen zu 'waschen'.
Die Mutter holte aus der untersten Schublade der Badezimmerkommode, aus ihrer hintersten Ecke, eine zu einer Art Rad aufgerollte Binde, breiter als die Art, die ich schon einmal um einen umgeknickten Fuß getragen hatte, schnitt ein ziemlich langes Stück ab, faltete es und gab es mir. Das sollte ich mir nun "unten" hinlegen, in den Schlüpfer. Diese Binde war dazu da, das aus mir herauslaufende Blut aufzunehmen. Von der Mutter kam kein Wort des Bedauerns über meinen Schrecken und eine Art von Erklärung erst auf meine Frage: "Was ist denn das nun? Bin ich krank?" Dass ich etwa sterbenskrank sein könnte, zeigte ihr Verhalten nicht. Die Erklärung, wenn man's eine nennen möchte, bestand aus genau den nachfolgenden Informationen: "Krank bist du nicht. Die Blutung wird in ein paar Tagen aufhören und dann alle vier Wochen wiederkommen." Sie werde mir noch andere Binden kaufen, neuartige aus Zellstoff, die man an Knöpfen befestigen könne. Wie denn befestigen? An einem Gürtel wie dem Strumpfhaltergürtel etwa, also an noch einem Gürtel? Ja. Ach, Frau Reiter, dachte ich, das Erwachsenwerden ist doch weniger schön, als Sie es mir voraussagen wollten. Schrecklich ist es, wenn es mit so viel Blut erkauft wird und mit soviel Unbequemlichkeit. Wie sollte ich denn jemals wieder Hopse spielen können oder 'Himmel und Hölle', wo man beim Hüpfen manchmal die Beine weit grätschen musste? Aber ich wurde ja erwachsen, und Erwachsene spielten nicht Hopse. Andere ältere Kinder aber doch. Ach so, man blutete ja nicht immer, nur immer wieder? Bis ans Lebensende?
Ich zog die frische Unterwäsche an, die die stumme Mutter mir brachte, das andere Kleid, steckte die 'Binde' in die Unterhose, machte einen Knoten in das ausgeleierte Gummiband, legte für alle Fälle die Berliner Zeitung auf mein mit der Tagesdecke bedecktes Couch-Bett in der Wohnzimmerecke und legte dann mich selbst wieder einmal am Tag darauf, ziemlich verzagt. Die Mutter ging inzwischen zur Drogerie, die unten im Haus war, direkt rechts neben der Haustür und wo es so verwunschen roch nach Mottenkugeln, nach billigem Parfum und Waschpulver und noch vielen anderen Dingen, die meine Nase gar nicht auseinander halten konnte. Und diese scheußlichen Binden kaufte man da also auch! Und ich dachte, wie schön es früher gewesen war, als ich ein ahnungsloses Kind war und ein Stück Seife zu holen geschickt wurde.
Erklärt hatte mir die Mutter also nichts und würde es wohl auch nicht mehr. Ihre eigene Angst vor diesem Stück Erziehung, das sie nicht leisten konnte, habe ich gespürt. Sie erschien mir sehr ähnlich der vom vorigen Jahr. Irgendwie tat mir meine Mutter sogar leid in ihrer Hilflosigkeit. Aber ich kannte ja nun eine Frau, der ich vertraute, Frau Reiter, und glaubte, sie künftig immer zu kennen. Ihren Mann, den Vater der inzwischen achtköpfigen Nachkommenschaft, sah ich nie. Der war mir auch egal. Er war, mir ist nie recht klar geworden, wo, aber jedenfalls im Westen, wo ja auch mein Vater und meine Tante arbeiteten, sogar in Westdeutschland, war Reisender in, sehr passend, Kindersachen und zog später mit allen den vielen Seinen nach Niedersachsen, in die Nähe von Hannover. Und Frau Reiter, meine liebe kluge Frau Reiter, habe ich nach diesem Umzug nie wiedergesehen. Ich hatte eine Adresse bekommen, über die ich mit Renate eine Weile Briefe wechselte. Das waren noch mehr Kinderbriefe als die von Heranwachsenden, und sie hatten nie die Vertrautheit, wie ich sie erträumte, aber nicht kannte. Meine ganze Sehnsucht danach steckte dann in zwei langen, wohl 20-seitigen Briefen, die ich an Renates Mutter richtete und in denen ich alle meine Gedanken ausbreitete. Antworten erhielt ich nie, nur Dank und Gruß in Briefen von Renate, nicht einmal von Frau Reiter selbst geschrieben. Zeit hatte sie wenig, das war klar. Was sie im Gespräch sagen konnte, war nicht auf wiederum 20 Seiten zu schreiben. Schon das anzuerkennen, fiel mir schwer, die ich bei ihr das Gespräch entdeckt hatte, und die Graphologentochter war neugierig auf ihre Handschrift. Doch dann fiel mir irgendwann der wahrscheinliche Grund ein für ihr Nicht-Schreiben: Sie hatte wahrscheinlich nie schreiben gelernt. Ach, Frau Reiter.
Am liebsten wäre ich liegen geblieben auf meiner Couch, wieder befallen, überfallen von etwas Neuem, von unerklärt aus mir laufendem Blut. Ich wünschte mir einzuschlafen, alles zu vergessen und dann in der Drogerie ein Stück Seife zu kaufen. Aber ich erinnerte mich sehr wohl an die sommerliche Depression des Vorjahrs, als ich zehn gewesen war, und daran, dass es ja wirklich schon einfach gut getan hatte, herauszugehen. Der Ball jenes Sommers zwar war längst lädiert und sprang nicht mehr. Aber es gab ihn noch, er hing an einem Nagel in der Abstellkammer hinter der Küche, die eigentlich als so genannte Mädchenkammer geplant war, nächtlicher Abstellraum für einen dienstbaren Menschen, gerade groß genug für ein schmales Bett, einen Schrank, einen Stuhl, nicht heizbar.
Und nun dachte ich mir auf der Wohnzimmer-Schlaf-Couch aus: Ich nehme den Ball, gehe hinaus, verschwinde rechts um die Ecke in die Schönhauser und frage, frage endlich wen nach meinem Ungemach, das die Mutter zu erklären nicht fähig ist, frage meine Kinderärztin in der Vinetastraße, Frau Dr. Bruhns, dort, wo ich mit der so passend Brunhild heißenden quasi−Enkeltochter auf dem Wohnzimmertisch unter der Höhensonne gelegen hatte. Sie als Ärztin würde mir doch erklären, was mit mir los war. Ich war richtig stolz auf meinen Einfall.
Was meine Mutter aus der Drogerie mitbrachte, war dies: ein Band mit Knöpfen und Knopflöchern, um die noch nicht ausgeprägte Taille zu legen, daran zwei kleine Bändchen, eins hinten, eins vorn, mit je zwei Knöpfen, zum Verstellen sozusagen. Die Binden waren aus Zellstoff und steckten in einem dünnen Netz, dessen Enden vorn und hinten an den Knöpfen der Bändchen zu befestigen waren. Diese Konstruktion, die keinen sehr soliden Eindruck machte, aber die Binde festhalten sollte, schnallte ich mir voller Widerwillen um, legte die Stoffbinde in kaltes Wasser (die Mutter versprach, sich um das weitere zu kümmern), nahm den Ball in seinem Netz, gab die ausgedachte Erklärung über die wohltuende Wirkung von frischer Luft ab und verschwand.
Brunhilds Mutter, Frau Asmus, empfing mich, und erst bei ihr konnte ich losheulen, hemmungslos, erleichternd und mit einer Tränenflut, die den unerwarteten Blutsturz von "da unten" weit übertraf, den ich mir noch viel gewaltiger vorstellte, als er tatsächlich gewesen sein kann. Sie kochte mir einen Kräutertee oder was sie hatte. Es war Mittwoch Nachmittag und keine Sprechstunde. Frau Dr. Bruhns war aber da. Das Schluchzen hatte sie natürlich gehört und kam, auch Bruni kam dazu. Frau Asmus wischte mir die Tränen ab, als ich mich zu beruhigen begann. Und so, zu viert um den Wohnzimmertisch sitzend, besprachen wir mein Erlebnis auf dem Klo.
Ich weiß, dass die Ärztin mir auf eine kindgerechte Weise den weiblichen Zyklus erklärte mit Eierstöcken und Eizellen und Samenzellen, mit der Gebärmutter, in der ein Nest vorbereitet wurde für eine befruchtete Zelle, aus der ein Mensch werden konnte. Wenn das Nest aber nicht gebraucht wurde, baute die Natur es wieder ab, und das war die Blutung jeden Monat. Bruni, ein ganzes Jahr jünger als ich, die das alles noch vor sich hatte, aber im Bilde war, ergänzte, was ihrer Meinung nach noch dazu gehörte, z.B. dass es doch komisch war, dass man als Kind eine Mutter hatte, aber in sich noch eine, eben die Gebärmutter. Auch vor der Frage nach den Samenzellen und wie die denn zur Eizelle kämen, drückte sich die Ärztin nicht. Ich glaube, dass ich das alles am nächsten Tag nicht hätte wiedergeben können. Aber darauf kam es nicht an. Es kam darauf an, dass ich ernst genommen worden war, als Kind in meiner ahnungslosen Angst und als Heranwachsende in meinem intellektuellen Verstehensbedürfnis. "Du darfst trotzdem noch Hopse spielen", sagte Frau Dr. Bruhns, und da konnte ich mitlachen.
"Und deine Mutter hat wahrscheinlich selbst eine Mutter gehabt, die ihr nichts erklärt hat, weil sie diese Monatsblutung nicht richtig verstand und die Zusammenhänge von Blutung und Zeugung und Schwangerschaft und Geburt auch nicht. Das war früher so und ist heute noch in vielen Familien so. Es gilt es als peinlich, von Dingen zu sprechen, die mit Sexualität zu tun haben. Wenn Ärzte das tun, gehört es zu ihrem Beruf, und man sieht es ihnen gewissermaßen nach. Ich kenne deine Mutter und ihre Ängstlichkeit und weiß auch, dass sie sich in der Familie deines Vaters nicht wohl fühlt. Deiner Mutter solltest du manches nachsehen, wenn du kannst. Du bist klüger als sie." Wie gut mir das tat, dass mir das endlich jemand einmal sagte, noch dazu meine Ärztin! "Und weißt du eigentlich, dass sie ein Kind vor dir verloren hat?" Ich wusste es noch nicht, und sie sagte mir, was ich verstehen konnte. "Das erklärt viel von ihrer Ängstlichkeit mit dir." "Sie meinen, sie will mich nicht auch verlieren? Darum die langen Strümpfe und so, die vielen Verbote? Ach, ich habe manchmal solche Wut auf sie."
"Und jetzt hat sie sicher Angst um dich. Sie weiß ja nicht, wo du bist. Habt ihr ein Telefon?" Nein, wir hatten keins. "Du solltest jetzt gehen, aber wiederkommen, wenn du möchtest. Denn du wirst doch mehr fragen wollen, glaube ich. Bruni wird dich begleiten, bis an die Wohnungstür. Sie nimmt ihr Rad mit und fährt dann zurück. Ist das Ihnen so recht, Anna? Oder besser geht ihr beide mit, es wird ja bald dunkel. Danke. Und dir, Ursa, gebe ich noch einen kurzen Brief mit, dass du bei mir warst und warum. Vergiss deinen Ball nicht und fang jetzt nicht an, dich zu bedanken."
Beide brachten mich nach Hause, Anna und Bruni Asmus. Frau Asmus sagte noch: "Es gibt in Westberlin etwas, das heißt Tampons, das ist stark gepresster Zellstoff, den man in die Scheide schiebt. Dein Vater arbeitet doch da, hast du gesagt, und deine Schuhe werden da gekauft und jetzt deine Brille, sogar auch mal ein Kleiderstoff. Bei guter Gelegenheit bitte mal darum. Man spürt sie nicht, und sie ersparen die Binden und den Bindengürtel. Deshalb heißen sie o.b., ohne Binde." Ich merkte mir das.
Da die beiden in ärztlichem Auftrag kamen, empfing meine Mutter mich mit einigem Schrecken aus ihren Händen, und erkennbar irritiert nahm sie den Brief an. Ich verschwand nach schnellem Dank im Badezimmer, um nachzusehen, ob ich nicht die Binde wechseln müsste. Ich hatte ja keine Ahnung, wie lange so was hielt. Und wirklich war sie durchgeblutet, auch die Unterhose hatte einen roten Fleck. Ich wechselte das Zellstoffgebilde, wusste aber nun nicht, wohin damit, ins Klo oder in den Müll, und wickelte es deshalb vorsichtshalber in Klopapier, das damals das zerschnittene Zeitungspapier für die hinteren Bedürfnisse abgelöst hatte, dieses grobe, fast einer Raspel gleiche Klopapier, das zu den Markenzeichen der verblichenen DDR bis zuletzt gehört hatte wie der unvergleichliche Geruch der Putzmittel an öffentlichen Orten aller Art.
Dieses Blut, das doch auch mein Blut war wie das hervorgekratzte, ekelte mich. Überhaupt lernte ich es sehr langsam, diesen monatlich sich wiederholenden Vorgang in meinem Körper als Teil meines Lebens anzuerkennen. Dabei hat er mir fast nie Beschwerden bereitet. Frau Dr. Bruhns war so klug gewesen, zunächst nicht davon zu sprechen, dass das so sein könne.
Zur Frage der Entsorgung (das Wort gab es noch nicht) musste leider wieder die Mutter befragt werden. Sie fürchtete Verstopfung im Klo, wie wir sie mehrfach unter scheußlichen Umständen gehabt hatten, lobte mich für meine Umsicht, haha, und das eingewickelte Stück Zellstoff mit etwas von mir drin kam in unseren Abfalleimer, den ich bei dieser Gelegenheit dann gleich noch in eine der drei großen, widerlich stinkenden Mülltonnen auf dem Hof entleeren durfte, aus denen immer die bedrohlichen Schwaden großer blaugrüner Fliegen aufflogen, wenn man den Deckel öffnete.
So war das nach meiner Rückkehr am ersten Abend, an dem ich kein Kind mehr war. Mein Vater war schon da. Es wurde zu Abend gegessen wie immer, und, wie ich es erwartet hatte: Ein Gespräch gab es nicht. Die Mutter musste ihm, während ich auf dem Hof war, in Kürze berichtet und den Brief der Ärztin gezeigt haben. Kein Gespräch, das bedeutete immerhin auch: keine 'Schimpfe' dafür, wie wir Kinder sagten, dass ich eigenmächtig meine Ärztin aufgesucht hatte. Mühsam wurde über Alltägliches gesprochen, vielleicht den nächsten Kindergeburtstag bei Brauns.
Verändert und sehr erschöpft durch das unerwartete, mir geradezu grundstürzend vorkommende Ereignis dieses Tages ging ich in mein Wohnzimmerbett. Ruhe hatte ich da noch nicht, weil ja meines Vaters graphologischer Schreibtisch, der Untermieter wegen, auch im Wohnzimmer stand. Da arbeitete er bis Mitternacht. Warum stand dieser Schreibtisch eigentlich nicht im Schlafzimmer? Warum musste ich, ohne eigene Ecke in der Wohnung, auch diese Lästigkeit noch auf mich nehmen? Immerhin konnte ich endlich liegen. Früher war ich zuerst im Bett meiner Mutter abgelegt worden, seit mein Vater wieder da war. Zuvor hatte ich in seinem Bett geschlafen. Irgendwann nachts erst wurde ich in die Wohnzimmerecke geführt, bis ich mich gegen beides wehrte, das Mutterbett und seinen Geruch und das Geführtwerden. Damals hatte ich schon den Paravent, den mir die Tante verschafft hatte, das kostbare Reiseandenken ihres verehrten, geliebten Chefs Josef Wedzicki von einer Schiffsreise nach Japan, für den sie selbst, im Ehebett neben ihrer Mutter, keine Verwendung hatte. Der dämpfte nun das Licht der Schreibtischlampe. Die nächtlichen Alarme in den Kleinkinderjahren, nächtliche Wanderungen zum Bunker, dann diese lieblose Nachtversorgung im Wohnzimmer - lebenslange Schlafstörungen mussten so nicht zwangsläufig entstehen, schließlich hatten Hunderttausende von Kriegskindern keinen ungestörten Nachtschlaf, haben es schlimmer gehabt als ich, lebten ausgebombt und in Enge und Lärm in Notunterkünften, gegen die meine Schlafgelegenheit luxuriös war, und doch: bei mir war' s so und ist es so.
Bilder kreisten in mir vom Blut in der Hose, von der Hilflosigkeit der Mutter, von der Geborgenheit bei Frau Dr. Bruhns und Frau Asmus, ähnlich wie der bei Frau Reiter. Vom unverkrampften Gespräch, das mit ihnen möglich war. Brauchte meine Mutter keine solchen Binden? Würde meine nicht in der Nacht ins Bett durchbluten? Wie hießen diese Dinger, die man da unten reinsteckte? Wie hieß "da unten" noch richtig? Die Scheide. Ich traute mich fast nicht, das Wort zu denken. Die Binden, die die Mutter mir zuerst gegeben hatte, die hatte doch sie gebraucht, denn warum besaß sie sie sonst? Aber ganz hinten in einer Schublade hatten sie gelegen, also brauchte sie sie nicht mehr? Man hatte diese Blutungen demnach nicht das ganze Leben von nun an? Das schien so zu sein, wenn das Ganze mit Kinderkriegen zu tun hatte. Alte Frauen waren Großmütter und nicht Mütter. Und, ach ja: im Badezimmer von Großmutter und Tante in der Wohnung unter uns, da hatte ich solche Binden ja selbst gesehen, mit Knopflöchern an den Enden, gewaschen und zum Trocknen aufgehängt, hatte kein Wort dafür gewusst und nicht gefragt, denn dass sie tabu waren, das hauchten sie mir aus allen Fasern zu.
Und das Kind vor mir! Ein Junge, hatte Frau Dr. Bruhns gesagt. Ein BRUDER also für mich, wenn er gelebt hätte. Wirklich aber ein Bruder? Denn das glaubte ich nicht, sofort nicht und glaube es noch heute nicht: dass ich gelebt hätte, wenn er gelebt hätte. Mein sehr alter Vater hat sich ja um eine Antwort auf meine Frage dazu gedrückt, die ich viel zu spät zu stellen wagte: Auch ich sei ein Wunschkind gewesen. Auch nach einem lebenden ersten Kind? Wie solle er das wissen? Und dafür, dass ich gezeugt wurde im Juli 1939, meine Mutter noch einmal eine Schwangerschaft auf sich nahm, die sicher nicht einfach war, seelisch nicht nach dem toten Kind, körperlich vielleicht nicht, weil sie schon 38 war, glaube ich ja einen Grund gefunden zu haben. Ich glaube, dass mein Vater mich zeugte, damit seine Frau nicht allein sei in der ihr räumlich zu nahen, aber fremd gebliebenen angeheirateten Familie, dass sie nicht allein sei, falls er 'eingezogen' würde und sogar, dies zu Ende gedacht: falls er 'fiele'. Damit war dann wirklich fast fünf Jahre lang immer zu rechnen. Ich allein war von ihr abhängig, aber sie war ebenso von mir abhängig. Ich war ihre Aufgabe, ihre Angst, ihr einziger Stolz außer dem spät ergatterten Mann, der mittelbürgerlichen Wohnung, die samt allen Deckchen und Vasen den Krieg tatsächlich überdauerte. Sie hegte und behäkelte und behütete mich. Sie hielt mich im Laufställchen, solange es ging, und dann am Gängelband, erst buchstäblich und danach symbolisch, bis ich mich wehrte.

Am liebsten hätte sie mit mir, der 'großen' Tochter, der Achtjährigen oder Zehnjährigen und noch Älteren, unter banalem Gerede auf dem Balkon gestanden oder, die Arme auf Kissen gestützt, aus dem Fenster gelehnt und die Vorübergehenden betrachtet oder was sonst. Es ist, wenn auch nicht nur, ein Urberliner Verhalten, verbreitet noch heute in Kleine-Leute-Gegenden, das ich in keiner anderen Stadt so häufig sehe. Dies allein hat sie an Berlinischem übernommen. Aber ich wollte es nicht mit ihr teilen.
Es fehlte ihr an Geist. Sie hat wahrscheinlich nicht einmal mit dem Wort etwas anfangen können. Sie war nicht bereit, wahrscheinlich nicht fähig, etwas Sinnvolles, einfach Erklärtes, Ungefährliches einzusehen, das anders war, als was sie meinte. Sie war dumm, meine arme Mutter. Und so, in ihrer Dummheit und Lebensängstlichkeit, wurde sie für mich zu einer Einrichtung zur Verhinderung von Lebensfreude.
Mit 21 zuerst habe ich versucht, über ihre Herkunftsfamilie etwas zu erfahren, die rheinische, fühlte mich wohl bei einem Besuch in der Familie ihres Bruders, vertraute mich seiner Frau an in meinem Kummer über meine Mutter, glaubte mich verstanden, war selig in dem Gefühl, dass Familie doch nicht nur Verbot und Behinderung darstellen musste, schrieb der Tante aus Berlin einen meiner langen Briefe - und erhielt keine Antwort. Ein Vierteljahrhundert später sagte mir meine einzige Cousine, ihre Tochter, ihre Mutter habe meinen Brief für ungehörig gehalten und deshalb nicht beantwortet. Und sie selbst, sie hatte einfach nur auf das geachtet, was ihre Mutter sagte, und mich wieder vergessen. (Ich habe den Brief später einmal gelesen, meinen. Ungehörig fand ich ihn nicht. Aber es muss so engherzige Vorstellungen gegeben haben vom Gehörigen, dass niemand wirklich gehört hat auf das, womit ich mich anvertrauen wollte. 'Man sagt nichts Schlechtes über seine Mutter.)
Fragen nach meiner Mutter wären mir 1961 wahrscheinlich noch beantwortet worden. Nur hatten sie sich bei mir noch nicht gebildet. Ich lebte ja noch mir ihr, und das war Last genug. Später, nach 25 Jahren Pause, brachte die Cousine nur noch Brocken über diese ihre Berliner Tante zusammen, die sie nicht gekannt hatte. Aber doch dies: Dass die Mutter meiner Mutter sehr liebevoll zu den rheinischen Enkelkindern gewesen ist. Dass sie liebevoll war zu ihren Enkelkindern, heißt doch wohl, dass sie es zu ihren Kindern auch war. Es heißt also: Meine Mutter hatte selbst eine liebevolle Mutter. Das schließt ja nicht ein, dass sie die Wahrheiten der Fortpflanzung kindgerecht mitteilen konnte oder selber ganz verstand. Aber ich brauche mir diese unbekannte "andere Oma" nicht als die vorzustellen, die ihre Tochter verbogen hätte. Meine Cousine hat sie aus tiefstem Herzen geliebt, diese gemeinsame Großmutter.
Ihre Tochter aber hat fast keine Spuren hinterlassen. Doch hat sie das. Sie hat mich hinterlassen. Und erst in meinem reiferen Alter, als sie schon recht lange nicht mehr lebte, begann ich die Suche nach Verstehensmöglichkeiten für das, was ich als ihre Unbeholfenheit, ihren Starrsinn, ihre Hilflosigkeit, ihre Dummheit erfahren habe. Und sammelte dann aus meinem Kopf und durch Fragen an Vater und Tante, was an Erinnerungen noch nicht ganz vergessen war, versuchte manche Fragen zu verbinden und dadurch Erkenntnisse zu gewinnen. Zu verzeihen habe ich nichts mehr. Es hat sich erledigt durch das Vergehen der Zeit. Ich hadere nicht mehr in mir mit meiner Mutter. Ich werde sie nie ganz aus mir loswerden, natürlich. Liebe nachtragen kann ich ihr nicht, doch Nachsicht inzwischen, Mitgefühl mit ihrer falschen Lebensentscheidung und mit ihrer Einsamkeit.

Zu einem Gespräch über die Blutung, die mir zugestoßen war, bzw. einen Aspekt davon kam es doch noch. Es war mein Vater, der es mit mir führte bei einem der Sonntagsspaziergänge, die wir ja manchmal machten, diesmal von Birkenwerder nach Summt. Das war eigentlich einer meiner Lieblingswege, aber nach jenem Sonntag mochte ich ihn nicht mehr gehen.
Der Vater verbarg es nicht, dass es ihm peinlich war, als Mann mit der Tochter über Dinge zu reden, die doch die Mutter mit ihr hätte geklärt haben sollen. Worüber er zu reden wünschte, das war nun nicht mehr die Blutung an sich und ihr biologischer Sinn. Da konnte er mich durch die Ärztin für unterrichtet genug halten. Nein, mitteilen wollte er mir, dass er nicht bereit sei, Geld für die Tampons auszugeben, die Frau Asmus, also tatsächlich Frau Dr. Bruhns, empfohlen hatte. Nicht eigentlich wegen der Kosten, die waren so hoch nicht. Der wahre Grund war der, wie er umwunden und teilweise nur ratbar zu sagen hatte, dass ein Mädchen sich nichts selber in die Scheide (die natürlich "da unten" hieß) zu stecken habe. "Warum nicht?" "Weil ich es sage. Es gehört sich nicht." "Was gehört sich daran nicht?" "Das wirst du erfahren, wenn du größer bist und es verstehen kannst." Es klang, als sei es eine Schande, so früh wie ich die Blutung bekommen zu haben, ein Kind noch und nun kein Kind mehr.
Indessen gingen wir auf den Waldsee zu, den ich so besonders liebte, weil dort eine große Weide stand, an deren langen, kräftigen Zweigen ich mich über das Wasser schwingen konnte. Es war immer gewesen, wie wenn ich in die Schwerelosigkeit aufstieg wie im Sommer zuvor auf der Schaukel bei Brauns in Kladow. Es hatte zu den Glücksmomenten meiner Kindheit gehört. Wenige Monate war das erst her. Mein Vater pflegte sich auf einen Baumstamm zu setzen und mich nicht zum Weitergehen zu drängen. (Übrigens habe ich niemals dort gebadet oder bin gar geschwommen. Der Vater konnte es selbst nicht, einen Korkgürtel als Schwimmhilfe gab es nicht. Aber vielleicht hatte ja der See sumpfigen Untergrund, und ich hätte gar nicht hineingehen können.) Auch diesmal setzte er sich auf den Baumstamm, denn was er zu sagen hatte, hatte er gesagt. Ich aber stand bewegungslos am Wasser, ergriff ein Bündel Zweige und ließ es wieder los, zuinnerst traurig, dass keine Freude sich einstellte, ganz deutlich ein Stück Kindheit dahin war. Dass die erste Blutung inzwischen vorbei war, ermöglichte mir nicht, in eine Lebensempfindung zurückzukehren, die es davor gegeben hatte. Die war unwiederbringlich Vergangenheit. Die Blutung war eine Zäsur. In meiner Erstarrung dort am ehemals geliebten Waldsee spürte ich das zum ersten Mal. Was von nun an mein Leben wäre, das konnte ich mir nur als Verlust vorstellen. Dass irgendwann Lust verbunden sein würde mit dieser körperlichen Veränderung und was das denn wäre, Lust, das hatte niemand mir gesagt, die Ärztin nicht, auch Frau Reiter nicht eigentlich und die Mutter schon gar nicht. (Ob sie Lust überhaupt je gekannt hat?)
Dabei "wusste" ich, was Lust ist. Denn irgendwann, schon bevor ich sechs war (ich weiß es, weil meine geheime, natürlich als verboten richtig verstandene Freude einmal fast entdeckt worden wäre), fand ich heraus, dass "da unten" aufregende Stellen waren. Die mit einem Kissen zu reizen, je härter, desto besser, das machte unbekannte, nur mir gehörende schöne Gefühle, Gefühle, die sich so steigerten, dass man nicht mehr aufhören konnte, und die mit eigener Macht auf einen Höhepunkt zuliefen. Ich hatte keinen Namen für ihn. Ähnlich unaufhaltsam, wie er gekommen war, erlosch er langsam wieder, und ich konnte ihn nicht sogleich nach Belieben wieder erzeugen. Anfangs waren Bilder von körperlicher Gewalt in meinen Phantasien, von Schlägen auf den nackten Hintern, wie ich sie wohl nicht kriegte, Bilder von nackten Körpern von Mädchen und Jungen und von Händen, die nackte Körper berührten und selbst von Händen berührt wurden, auch "da unten". Tags las ich mir die Zusammenhänge von Blutung und Schwangerschaft aus dem medizinischen Wörterbuch schlechten Gewissens heimlich nochmals zusammen, merkte mir jetzt die Worte 'Scheide' und 'Penis' ("Piepel" sagten die Jungs auf der Straße) und begriff endlich nicht nur die Worte, sondern auch den Vorgang, dass also der Penis steif werden und in die Scheide eindringen und Samen aus sich entlassen könne, von dem eine einzige Zelle sich mit der reifen Eizelle vereinigte, für die das Nest gebaut, aber wieder abgebaut wurde, wenn keine befruchtete Eizelle sich einnistete. Das war noch blutleeres Lexikonwissen. Erst wenn Vater den graphologischen Schreibtisch verlassen hatte und ich noch wach war, stellte ich mir lustvoll vor, dass unter der Bettdecke in mich etwas eindrang, ein Penis oder vielleicht auch die Finger einer Hand, und dann wohl jenen Höhepunkt erzeugten, den ich mir in meiner Selbstbefriedigung auch allein bereiten konnte. Diese Art einsamer Befriedigung, früh entdeckt, war eine Sexualität, die ich nicht einmal vor mir selbst so zu nennen wagte, als ich das Wort kannte. Was die Mädchen meiner Klasse taten, weiß ich nicht, denn vertraute Freundinnen hatte ich weder in der Einheitsschule Ost in der Scherenbergstraße noch später im Gymnasium West im dörflichen Berlin-Lichtenrade, wo ich mir mit meinen geheimen Freuden verwerflich vorkam, ohne von ihnen zu lassen. Anfangs fuhr ich von dort noch zu Hajo, meiner kühnen frühen Liebe.
Natürlich haben die oft unbehüteten Mädchen am Prenzlauer Berg die Sexualität früher entdeckt als die wohlbehüteten in Lichtenrade. Ich weiß, dass manche Stadtmädchen davon sprachen mit Wörtern, die ich nicht verstand. Vielleicht tauschten sie Phantasien oder schon erste Erlebnisse aus, aber nur mit solchen, die gleich weit waren, nicht mit den arglos wirkenden Zopfmädchen, wie ich lange eins war. Von Christa Hinz glaubte ich, sie sei eine von den 'anderen', und riss ihren Eintrag in mein Poesie-Album heraus, um den ich sie nicht gebeten hatte. Von Hannelore und Rosalinde Harig wusste ich es. Denn bei einem Ferienlager auf dem Nordendplatz in Pankow, wohin wir Stadtkinder in der 3. und 4. Klasse in den Sommerferien morgens mit der Straßenbahn fuhren, abends zurückkamen, wo wir ein Mittagessen bekamen (ich meins immer noch in den Militär-Henkelmann meines Vaters), wo wir Spiele unter Anleitung machten und andere, eigene, da spielte Rosalinde so etwas wie eine kokette Prinzessin auf einem irgendwie improvisierten Thron oder eher eine Kokotte. Sie war viel älter als die meisten anderen (es waren nur Mädchen da), sie hielt Hof in einem richtigen Zelt, das nicht immer wieder zusammenstürzte wie die aus Decken und Ästen mit völliger technischer Ahnungslosigkeit und trotzdem immer wieder erneuerter Begeisterung errichteten Zelte fast aller anderen. Auch meins, gebaut zusammen mit der zarten Anita Zeiger, war so eins. In ihrem saß also Rosalinde, mit Rouge auf den Wangen und Stift auf den Lippen, die jungen Brüste herzeigend, und die Beine unter dem weiten Rock waren unbekleidet bis "da unten", das wurde erzählt. Anscheinend hatte sie früh das Talent zur Hure, denn damit man ihre Brüste berühren durfte, nahm sie Geld, wenig, Groschen nur, mehr hatte ja niemand. Auch ich klaute meiner Mutter einmal Geld aus dem Portemonnaie, genug jedenfalls, um ihre Brüste anfassen zu dürfen, genug sogar, um ihre Scheide berühren zu dürfen. Allerdings traute ich mich nicht, und sie und ihr "Hofstaat" verspotteten mich. Aber ich sah zu, was andere taten, und sie ließ mich, und alles Gesehene ging ein in meine einsamen Spiele mit mir selbst. Wie wir geheim hielten, was wir da taten auf dem Nordendplatz, weiß ich nicht, außer dass es Wächterinnen gab, jeden Tag andere und jeden Tag mit einem anderen verabredeten Ruf oder Pfiff. Ich lernte da zwei Sommer lang einiges, nur nichts über die Blutung, die ich von mir noch nicht kannte. Und natürlich lernte ich gar nichts über Liebe. Davon wusste die arme frühreife Rosalinde bestimmt selbst nichts.
Aber auch an Liebe in der Familie kann ich mich nicht erinnern. Nie haben sich ja meine Eltern in meinem Beisein Zärtliches gesagt, nie sich umarmt, gestreichelt oder geküsst. Es war Frau Reiter, der ich das einige Monate nach der ersten Blutung erzählte. Sie allein ist es gewesen, die mir von der Liebe zwischen Mann und Frau etwas sagte. Ich verstand noch nichts, aber doch zum ersten Mal dies, dass die Zäsur der Blutung nicht nur der rabiate Abschluss der Kindheit war, als den ich sie erlebte, sondern auch der Beginn einer Verheißung auf viel Schöneres als das, was ich mit mir allein trieb. Mehr darüber habe ich, es bleibt über alle Maßen erstaunlich, im Konfirmandenunterricht gelernt. Damit begann, als ich zwölf war, mein wirkliches Erwachsenwerden und die erste Ahnung von Liebe als Sexualität und Geist.
Sonst gab es in jener Zeit zwischen zwölf und vierzehn, die ich noch in der Kugler Ecke Schönhauser verbrachte, immer noch die Völkerball-Rüpeleien, die natürlich erste Annäherungsversuche zwischen Jungs und Mädchen waren, und Gespräche im Hof mit Dieter Rausch an drei Tagen, an wahrhaftig nicht mehr als drei Tagen, bis sie verboten wurden. Und dann, allerdings, gab es eine erste, anfangs noch tapsige, ja: Liebesgeschichte, die mit Halop, mit Hajo Mahn. Sie blieb nicht tapsig. Und es gelang uns wahrhaftig, sie verborgen zu halten.

Seit dem durch die Blutung so unerwartet früh demonstrierten Beginn meiner Pubertät begann mein Verhältnis zum Vater ambivalent zu werden. Nach wie vor bewunderte ich ihn zwar für seine Graphologie. Er aber muss angefangen haben, die Jungfräulichkeit seiner Tochter schützen zu wollen. Er hob also das Verbot seiner Frau betreffend Dieter Rausch nicht etwa auf, sondern bestätigte es. Dabei fiel zum ersten Mal der Satz, den ich über viele, viele Jahre nur als zutiefst zu hassenden verstehen konnte: "Wehret den Anfängen". Welchen Anfängen denn? Warum waren Gespräche mit einem allgemein als wohlerzogen anerkannten, höflichen Jungen etwas, dem zu wehren war, kaum dass sie begonnen hatten? Ich begriff es nicht. Ich lernte aber etwas aus diesem Verbot: Nichts, was mich im Innern wirklich anging und künftig angehen würde, sollten diese Eltern erfahren. Der innere Rückzug vor meiner Mutter war ohnedies schon weit fortgeschritten, dem Vater gegenüber begann er mit dem Tamponverbotsspaziergang. Sie waren miteinander im Gespinst ihrer Ehe nichts als unglücklich, unglücklicher wahrscheinlich noch, als ich es mir damals vorstellen konnte. Aber ich steckte mit in dem lieblosen Gespinst dieser Ehe, das sich mit mir Familie nannte. Langsam habe ich begriffen, dass ich mich wenigstens innerlich herauslösen musste. Auch, dass ich würde lügen müssen, da sie der Wahrheit nicht zugänglich waren und deshalb die Wahrheit ihnen nicht zumutbar war.
Zur Wahrheit gehörte damals auch, dass die drei Gesprächstage mit Dieter Rausch, dem gut aussehenden, aber ganz uneitlen Jungen, mir auch deshalb gut taten, weil ich damals frisch bebrillt war. Und ein bebrilltes Mädchen, das galt zu Anfang der 50er Jahre und noch lange danach als ein hässliches Mädchen, dem man, und nicht nur die Jungs, "Brillenschlange" hinterher rief oder: "Mein letzter Wille: 'ne Frau mit Brille." Das alles wusste ich, als ich endlich bei meinen Eltern die Brille durchgesetzt hatte; ja, ich musste sie durchsetzen. Dass meine Augen schwächer wurden, immer kurzsichtiger, das bemerkte ich natürlich in der Schule, wo ich in der letzten Reihe saß und weil ich von dort die Tafelanschriebe immer schlechter lesen konnte. In meines Vaters Schreibtischschubladen fand ich die Sammlung seiner Sehhilfen früherer Jahre, angefangen wohl mit einem Kneifer, auf den mehrere Brillen folgten. Keine war eine für mich richtige, aber mit allen sah ich besser als ohne eine Brille. Die Selbstdiagnose war so eindeutig, wie nur möglich. Und doch hat es ein ganzes Jahr gedauert, bis man mit mir zum Augenarzt ging und der dann eine Brille verschrieb. Die war immerhin aus dem Westen. Ich wollte, wenn denn nur diese Wahl bestand, lieber gut sehen, als gut aussehen. Wollten meine Eltern das leidlich hübsche Kind nicht als Brillenschlange sehen, die sie doch selbst beide waren? Glaubten sie hingegen, bei der Heranwachsenden sei die Brille ein Schutz gegen verfrühte Nachstellungen?
Das Brillengestell war wirklich hässlich, obwohl es sicher deshalb hell war, weil es nicht allzu sehr auffallen sollte. So ist es auf dem Konfirmandenfoto zu sehen, dem letzten für lange Zeit, das ein Fotograf von mir gemacht hat. Mit besonderer Bosheit ausgesucht war das Gestell nicht. Eine randlose Brille wie meine Mutter wollte ich nicht haben, widerriet auch der Optiker. Dass Brillen einmal Modeartikel werden würden, die Voraussage hätte ich damals für absurd gehalten. Wenige trugen Brillen. Ein Junge mit Brille galt als intelligent. Ein Mädchen mit Brille als Intelligenzbestie. So war das. Ich war bereit, das auf mich zu nehmen.
Was haben diese Eltern je von ihrer Tochter verstanden? Jedenfalls nicht, dass es ihr gefallen haben könnte, dass es ihrem Selbstbewusstsein gut getan haben könnte, ihrem Selbstbewusstsein als Brillenschlange zumal, mit diesem gut aussehenden Jungen Dieter Rausch zu sprechen. Niemals haben sie mir gesagt, dass ich hübsch aussähe (nun ja, in Maßen eben), niemals, dass ich eine wohl proportionierte Figur bekam, etwa gar, dass mir ein schöner Busen wuchs. Meine Mutter nähte alle meine Kleider selbst, und sie konnte es fast so gut wie die Großmutter. Aber in der Familie wurden an mir nur die Kleider gelobt, nicht ich in ihnen für gut aussehend befunden. Vor allem: es durfte sich "nichts abmalen". Das ist zu übersetzen: Alles, was an dir weiblich zu werden sich anschickt, an dir, die du mit elf noch eine nahezu kurvenlose Bohnenstange warst, darf nicht zu sehen sein. Ein Korsett wollte mir meine Mutter kaufen, als ich zwölf war! Das konnte ich verhindern. Den ersten BH hingegen bekam ich erst, als ich 14 war und die Mädchen meiner neuen Schule West fanden, der sei nun aber längst überfällig.
An die Blutbinden gewöhnte ich mich nicht. Wenn die Zeit wieder nahte, zu der sie anzulegen waren, sehr ungefähr wusste ich das, bemitleidete ich mich selbst ganz fürchterlich, war beleidigt bei geringfügigen Anlässen und verschwand in den einzigen für mich abgeteilten Bereich in unserer Wohnung, hinter ein Buch. Denn der japanische LackParavent war viel zu kostbar, als dass ich ihn am Tag hätte benutzen dürfen, um meine Schlafecke zur Leseecke zu machen. Er wurde sorgfältig zusammengefaltet, mit einer Decke verhängt und an eine Wand der Mädchenkammer gelehnt. Als wir nach Westberlin zogen, schenkte die Tante ihn mir und ich benutzte ihn weiterhin, denn meine Schlafsituation in der elterlichen Wohnung war nie eine andere als die beschriebene.
Am widerlichsten war es, dass alle, die ihre Blutung hatten, in dem halben Jahr, in dem wir zum schwimmen lernen geführt wurden, natürlich nicht ins Wasser durften, aber stets mitgehen mussten, wenn der Zug der sechsten Klassen sich von der Schule in der Scherenbergstraße zum Hallenbad in der Oderberger Straße schob. Ein hochkonzentrierter Chlorgeruch hielt das ganze Gebäude besetzt, vermischt mit Schwaden warmen Wasserdampfes. Ich hasste beides.
Ehe zum eigentlichen Schwimmunterricht geschritten wurde, lief ein Ritual ab, das immer unangenehm war, an den Blutungstagen aber schier unerträglich. Da saßen in der einen Ecke eines großen Raumes, den ich in meiner Erinnerung wahrscheinlich zu Saalgröße aufblase, die Lehrerinnen aus mehreren Schulen mit den Anwesenheitslisten, und in der diagonal entgegengesetzten Ecke standen, zu Klassen gepackt, die Schülerinnen. Klasse für Klasse wurde die Anwesenheit der Mädchen durch lauten Ruf der Zunamen abgefragt und durch lautes 'hier' bestätigt. Diejenigen Schülerinnen, die zwar 'hier' waren, aber wegen Blutung nicht schwimmbereit, hatten nun einen langen stummen Gang quer durch den Saal zur Ecke der Lehrerinnen anzutreten und dort der für sie zuständigen dezent zuzuflüstern: "Ich möchte ein 'P' ansagen." 'P' stand für Periode. Das umständliche, peinliche, zeitraubende Zeremoniell diente vermutlich dazu, dass sich keins der Mädchen vom Schwimmen drücken konnte. Die Lehrerin hatte so einen Überblick über den Zyklus. Der wäre nicht gesichert gewesen, wenn man den 'P'-Satz hätte rufen dürfen wie das 'hier'. Denn das hätte ja auch eine andere tun können.
Es ging bei diesem Schwimmunterricht der 6. Klassen nicht darum, dass jedes Mädchen schwimmen lernte, es ging nicht um das, was heute Breitensport heißt. Es ging vielmehr um Talentsuche. Die besten Schwimmerinnen der DDR sollten aufgespürt werden, kamen danach auf besondere Sportschulen, auch aus meiner Klasse mehrere, und einige wurden zu Weltmeisterinnen und Olympiasiegerinnen emporgedopt. Die Übrigen, die Ängstlichen, Langsamen, Ungeschickten, wurden wohl nochmals geteilt in solche, die vielleicht nur noch einen Anstoß brauchten, und die hoffnungslosen Fälle, zu denen ich gehörte. Ich kriegte sogar fertig, im Nichtschwimmerbecken fast zu versaufen. Wir hatten uns, wenn nicht durch 'P' auf eine Bank verwiesen, im gechlorten Wasser aufzuhalten und hatten weiter nicht aufzufallen. "Nimm doch noch mal ein Brett", das war schon die nachdrücklichste Ermunterung der Zaghaften. Und so zierte mein Zeugnis am Ende der 6. Klasse, das sonst von Einsen glänzte, Sport allerdings auch in seinen üblicheren, nicht mit Wasser verbundenen Erscheinungsformen ausgenommen, in Schwimmen eine '5', und hätte es damals die '6' gegeben, so wäre es die gewesen.
An die Blutbinden also gewöhnte ich mich nicht und dachte mir allerlei Möglichkeiten aus, wie ich denn an Tampons kommen könnte, während ich gleichzeitig so tun musste, als verbrauchte ich die Binden. Alles, was mir einfiel, war unrealistisch. Taschengeld bekam ich nicht. Die Tante zu bitten, mir welche zu schenken, kam nicht in Frage, einerseits nicht, weil das ein Tabu-Thema war, andererseits nicht, weil sie selbst ersichtlich ja noch wiederverwendbare, auszukochende Binden benutzte.
Wieder einmal war es Frau Reiter, der ich mich anvertraute. Was ich eigentlich von ihr erwartete, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich genügte es mir schon, ihr mein Herz auszuschütten. Aber es fand sich sogar eine Lösung für mein Problem: Sie bekam Päckchen aus dem Westen, die auch Tampons enthielten, normale für sie selbst, kleine für Renate! Sie gab mir einige, dazu die Benutzungsanleitung, damit ich üben konnte, sie einzuführen. Es war mir durchaus unbehaglich dabei, so sehr war ich Selbstbefriedigungserfahrene doch noch immer Kind, und von den mir gegebenen vier Stück der kostbaren gepressten Wattestücke verbrauchte ich drei, ehe es mir gelang, eines, das letzte, richtig einzuführen, so dass es tatsächlich nicht zu spüren war. Was aber weiter? Wir bekamen auch Päckchen aus dem Westen, von der Schwägerin meiner Mutter. Niemals aber hätte ich mich ohne Ermunterung getraut, um etwas zu bitten, zuallerletzt um das. Und meine Mutter tat es natürlich auch nicht.
Dann wurde das Problem gelöst durch ein Ereignis, dessen Peinlichkeit mir über viele Jahre hin bis ins Erwachsenenalter als schier ohne Parallele in Erinnerung blieb und das jedenfalls den Widerstand meines Vaters gegen 'diese Dinger' aufbrach. Es war in der Schule. Ich war ziemlich spät am Ende der ersten großen Pause eines Tages noch zur Toilette gegangen, hatte wie immer, wenn es eilig war, zum Pinkeln die Binde und den labberigen 'Schlüpfer' nur zur Seite gezogen, um rechtzeitig in der Klasse zu sein. Schon nach ein paar Schritten auf dem Gang vor den Klassenräumen, wo noch zahlreiche Schülerinnen waren, merkte ich es: Die Binde hatte sich gelöst, d.h. das dünne, weitmaschige Gewebe um sie herum, mit dem sie angeknöpft wurde hinten und vorn, war durchgerissen. Mit den Beinen halten konnte ich sie nicht, der lockere Schlüpfer war kein Hindernis, sie fiel auf den Fußboden des Ganges, fast durchgeblutet, sichtbar für alle. Ich weiß nur noch, dass ich in der Sekunde, da ich sie fallen fühlte, um irgendein Wunder betete, das sie unsichtbar machen würde, oder an den Fußtritt einer freundlichen Lehrerin, der das corpus delicti wenigstens an den Rand des Ganges, am besten unter einen Heizkörper schöbe. Mich umzudrehen und meine Blutbinde selbst aufzuheben, dazu fehlte mir jede Kraft. Lieber wollte ich, wenn mein Stoßgebet nicht helfen würde, dass sich die Erde unter mir auftue.
Es geschah natürlich kein Wunder. Vielmehr packte mich die kräftige Hand eines Lehrers, drehte mich um, wies auf das Stück Zellstoff aus meinem intimsten Bereich und fragte, während alle Mädchen neugierig im Halbkreis um die Szene zwischen uns beiden stehen blieben, ob ich denn etwa meinte, verlorene Gegenstände nicht aufheben zu müssen. Die Schülerinnen schickte er in ihre Klassen, wohin sie nicht gerade eilig gingen. Vor seinen Augen hob ich also meine Binde auf, trug sie ins Mädchenklo, zerriss sie und spülte sie herunter. Dann wusch ich mir die Hände. Er stand noch immer da, hatte mir nachgesehen und gewartet, dabei aber nicht bemerkt, dass hinter ihm inzwischen eine Kollegin stand, die älter war als er, den Vorgang noch gerade mitbekommen hatte und nun zu ihm sagte: "Gedanken hast du dir sicher nicht gemacht, Genosse, wie sich wohl ein Mädchen in solcher Situation fühlt. Darüber reden wir noch. Jetzt gehst du bitte und holst die Sachen von Ursa aus ihrer Klasse, Ranzen und was draußen liegt. "- "Welche Klasse?" fragte er. "7c." Meine Jacke hing im Gang am Haken, ich nahm sie, er brachte den Ranzen, gab ihn mir und ging wortlos in seinen Unterricht.
Die Lehrerin, Frau Woltmann, war meine Geschichtslehrerin. Sie führte mich zur Schulsekretärin und erklärte mir auf dem Weg: "Wenn du einmal eine Ersatzbinde vergessen hast, und das hattest du ja heute wohl, dann kannst du dir im Sekretariat immer so viel Watte holen, dass es für den Weg nach Hause reicht. Wusstest du das nicht?" Nein, ich wusste es nicht. "Außerdem", fügte sie hinzu, "das ist schon mehreren Mädchen passiert, dass sie eine Binde verloren haben. Es sind doch schlampig hergestellte Dinger." Von unserem Klassenlehrer, dem alten, wohl ausgebrannten, jedenfalls degradierten Herrn Jarcke (er sei einmal Schulleiter gewesen, noch "unter Hitler", zischelte man sich zu),. haben wir über die Watte, die in Notfällen wie meinem bei der Sekretärin zu haben war, mit Sicherheit niemals ein Wort gehört. Er verbreitete sich über das Litorina-Meer und die Ancylus-Schnecke als Leitfossil derart ausufernd, dass dieser Rückzug in die Frühzeit der Erdgeschichte, bevor es Menschen gab, ihn wohl vor der Gegenwart ein wenig schützte - und ich das heute noch weiß.
"Erledige das mit der Watte und dann geh' nach Hause. Ist bei dir jemand da, wenn du jetzt schon kommst?" fragte Frau Woltmann. Ich sagte 'ja', was sehr wahrscheinlich stimmen würde, wollte aber nicht zu meiner Mutter und nicht zu meiner Großmutter gehen und die Geschichte erklären. Sondern ich ging zum Humannplatz, weit genug von der Wohnung entfernt, um mir zu überlegen, was ich am Abend meinen Eltern sagen würde. Ich fühlte mich allein gelassen und genau da unbehütet, wo ich es noch nicht gebrauchen konnte, während ich ja beispielsweise bei der Kniestrumpf- und Söckchen-Problematik im Frühjahr und Herbst in grotesker Weise überbehütet war, wie auch alle Gleichaltrigen wussten.
Ich nahm mir vor, mutig zu sein. Wir müssten noch einmal sprechen über diese Frage der Blutung, der Binden und Tampons, würde ich sagen. Mit Frau Dr. Bruhns (Frau Reiter ließ ich lieber weg; 'was, zu einer Zigeunerin bist du gegangen?', ich konnte es schon hören) hätte ich es ja getan und heute nun notgedrungen auch mit meiner Lehrerin Frau Woltmann nach einem peinlichen Erlebnis, das ich zu erzählen beschloss mit recht vielen Einzelheiten, auch der von dem korrekten unsensiblen jungen Lehrer. Frau Bruhns hätte mir den Zyklus erklärt, Frau Woltmann von schlampig hergestellten Zellstoffbinden gesprochen, die man im Osten kaufte, und von Tampons, die mir vielleicht jemand aus dem Westen besorgen könne. Mein Vater, würde ich sagen, verdiente doch einiges an Westgeld, meine Schuhe wurden im Westen gekauft, auch Kleiderstoff, auch meine Brille - jetzt brauchte ich Tampons und würde lernen, sie zu benutzen. Daran jedenfalls sei nichts peinlich.
Kämpferisch gestimmt war ich am Abend. Aber mehr, als den Vorgang vom Vormittag ziemlich knapp zu berichten, war gar nicht möglich, denn der Vater unterbrach mich: "Friedel, besorg' ihr die Dinger." Am folgenden Abend hatte ich sie, danach fanden sie sich immer in der Kommode im Badezimmer. Kein Wort wurde jemals wieder darüber verloren.

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